Blasenfunktionsstörungen
und Inkontinenz
Möglichkeiten und Grenzen neuer operativer Technologien
Blasenschwäche
und Blasenfunktionsstörungen betreffen in der Bundesrepublik offiziell
mehr als 5 Millionen Menschen. Vermutet wird, daß es mehr als doppelt
so viele sind. Ihre Beschwerden unterscheiden sich in vielerlei
Hinsicht: entweder es besteht bei ihnen ein Harnverhalt – nicht Wasser
lassen können – oder ein ständiger Harndrang, der durch die ständige
Suche nach einer Toilette geprägt ist. Besonders belastend ist aber der
unfreiwillige Urinverlust (Inkontinenz), der von den Betroffenen nicht
kontrolliert werden kann. Sie können, im Gegensatz zu sogenannten „kontinenten
Menschen“, ihren Harndrang nicht willentlich unterdrücken.
Für
die Betroffenen ist das nicht nur ein medizinisches Problem, sondern
auch eine große psychische Belastung. Sie leiden darunter, daß sie
ihre anerzogene Fähigkeit, sich zu kontrollieren, verloren haben und
verschweigen aus Scham ihr Problem. Mit der Folge: Sie wagen sich nicht
mehr aus dem Haus und geraten in die soziale Isolation. Laut
WHO-Richtlinien ist aber z.B. Inkontinenz eine Krankheit
und damit wird klar, daß der Betroffenen keine
Schuld an dieser Situation trägt.
Was
bedeutet Inkontinenz?
Der
Begriff Inkontinenz leitet sich ab von lat. „continere“, d.h.
zusammenhalten, und bedeutet das „Unvermögen zum willkürlichen Zurückhalten
von Harn- oder Stuhlgang und dem unfreiwilligen Abgang von Harn und
Stuhl“. Dabei werden folgende Formen unterschieden.
Das
bedeutet, daß aufgrund einer Überaktivität des Schließmukels der
Urin sich schon ab einem geringen Füllungsgrad der Blase spontan
entleert.
Hier
findet ein beständiges Harnträufeln statt. Die Ursache wird in einer
Schwächung (Insufizienz) des Schließmuskelsystems vermutet.
Wie funktioniert die Blase normalerweise?
Voraussetzung
für eine normale Blasenfunktion ist das störungsfreie Zusammenspiel
zweier Nervensysteme mit ihren sensiblen und motorischen Nervenbahnen.
Harnspeicherung
und Harnentleerung werden
durch zwei Zentren im Gehirn kontrolliert und koordiniert. Die hemmenden
Areale liegen im Bereich des Frontalhirns, des limbischen Systems,
Thalamus und der Stammganglien. Die aktivierenden
Areale im Hypothalamus.
Blase und Harnröhre werden in der Füll-, Speicher- und
Entleerungsphase durch das autonome (willkürliche) Nervensystem und über
lokale Nervengeflechte im Bereich des Schließmuskel kooridniert. Darüberhinaus
gibt es noch viele Nervenverbindungen, die ebenfalls Einfluß auf die
Harnspeicherung und –entleerung nehmen. Wasser lassen oder zu halten
erscheint jedem als ein einfacher Vorgang. Doch in Wirklichkeit ist es
ein hochkomplexes Zusammenspiel zwischen Gehirn, Blase oder Darm und
Schließmuskeln. Nervenschädigungen, psychische angeborene oder
erworbene Schäden in diesem System können zu Funktionsstörungen wie
Harninkontinenz oder chronischen Blasenentleerungsstörungen führen.
Durch
Husten, Lachen, Niesen oder Pressen übersteigt passiv der Druck in der
Blase und den Schließmuskeldruck, so daß es zu einem unwillkürlichen
Urinabgang kommt, ohne daß ein Harndrang vorher bestand.
Nach
oben
Bei
dieser passiven Inkontinenzform liegt eine traumatische
(verletzungsbedingte) oder degenerative Veränderung des Schließmuskelsystems
vor. Bei Frauen ist sie mit 55% die am häufigsten auftretenden
Inkontinenzformen, bei Männern hat sie einen Anteil von unter 50 %.
Die
Therapie ist meistens operativ, mit dem Ziel, den geschwächten Schließmuskel-mechanismus
zu unterstützen. Aber auch durch gezieltes Beckenbodentraining kann in
leichteren Fällen eine Besserung erzielt werden. Bei Männern wird oft
die Implantation eines künstlichen Schließmuskels vorgenommen.
Hier
handelt es sich um eine aktive
Inkontinenzform, deren Ursache eine Überaktivität des Blasenmuskels
ist, mit der Folge, daß durch nicht unterdrückbare Schließmuskelkontraktionen
ein Harndrang empfunden wird und unwillkürlich Urin abgeht.
Schon
der Füllungsreiz der Blase, aber auch durch äußere psychische Reize,
motorische oder Berührungsreize werden Blasenkontraktionen (d.h. die
Blase zieht sich reflektorisch zusammen) ausgelöst werden, die dann
sofort zum Harndrang führen. Bei Frauen ist sie mit 31 % die zweithäufigste
Form, ebenso bei Männern mit 39 %.
Häufig
führen chronische Entzündungen, Prostatavergrößerung, Harnröhrenverengungen,
Tumore oder Strahlenschäden zur Dranginkontinenz. Bei psychovegetativen
Fehlsteuerungen (sog. Reizblase) tritt dieses Phänomen auch bei
geringerer Belastung auf und beim Mann zu den Symptomen des Prostatismus
mit häufigem Harndrang aber wenig Urinabgang
Die
Behandlung ist hier meist medikamentös mit dem Ziel, den überaktiven
Blasenmuskel ruhig zu stellen und die sensible Reizschwelle für den
Harndrang herabzusetzen. Toilettentraining und ein Miktionsprotokoll
(die Häufigkeit des Harndrangs wird über einen längeren Zeitraum
protokolliert) helfen, dem unerträglichen Blasenreiz mit der Zeit aktiv
zu begegnen.
Bei
dieser Form kommt es zu einem häufigen Harndrang und einem unwillkürlichen
Urinabgang aus der Harnröhre durch eine passive Überdehnung der
Blasenwand.
Die
Blasenentleerung ist so stark behindert, daß trotz normaler Blasen- und
Schließmuskelfunktion der Blasenmuskel nicht in der Lage ist, den Urin
völlig zu entleeren (Ursache: u.a. Prostatavergrößerung, Harnsteine,
Harnleiteranomalien, Vernarbungen, Tumore etc.). Die Blase fülllt sich
immer mehr, der Blasenmuskel wird überdehnt und preßt unkontrolliert
kleine Urinportionen ab, ohne die Blase wirklich zu entleeren.
Hier
hilft oftmals eine Operation, um das Hindernis zu beseitigen. Unter Umständen
kann nur noch mit Hilfe eines Katheters die Blase vollständig entleert
werden.
Die
sakrale (d.h. im unteren Lendenwirbelbereich) Elektronervenstimulation
(Schrittmacher) bei Blasenfunktionsstörungen
Die
Dranginkontinenz, die chronische funktionelle Blasenentleerungsstörung,
Harndrangsyndrom sowie chronische Beckenschmerzen können heute
erfolgreich mit der Implantation eines solchen Schrittmachers behandelt
werden, so daß Patienten ihre Blase mit Hilfe eines externen
Steuerungsgerätes kontrolliert entleeren können. Dabei werden schwache
elektrische Impulse über den „Schrittmacher“ an die für
Steuerungzentrale des für den Entleerungsvorgang zuständigen
Sakralnerven abgegeben. Durch diese kontinuierliche Elektrostimulation
kann eine teilweise oder vollständige Linderung der Symptome erzielt
werden.
Die
Implantation kann dann durchgeführt werden, wenn eine chronische
Inkontinenz oder Entleerungsstörung vorliegt und andere
Behandlungsformen, wie Medikamente Biofeedback, Beckenbodentraining etc.
unzureichend geblieben sind. Die Nieren- und Harnleiterfunktion darf
nicht gestört sein und eine ausreichende Blasenkapazität (Füllungsvermögen
der Blase) muß vorhanden sein. Zudem muß eine dreitätige
Teststimulation der Sakralnerven vor der Implantation des Schrittmachers
durchgeführt werden, bei der zufriedenstellende Ergebnisse erzielt
werden konnten.
Unter
Vollnarkose wird dem Patienten eine Elektrode in unmittelbarer Nähe des
ent-sprechenden Sakralnervs (über den der Entleerungsvorgang gesteuert
wird) dauerhaft implantiert. Die Elektrode wird unter der Haut zu einem
Stimulationsgerät geführt. Das Stimulationsgerät wird ähnlich wie
bei einem Herzschrittmacher durch einen Einschnitt dicht unter der
Hautoberfläche eingesetzt. Nach den bisherigen Erfahrungen stellt die
elektrische Neurostimulation eine wertvolle Behandlungsmethode bei
Patienten dar, die auf eine konversative Therapie nicht angesprochen
haben.
Mechanische Hilfsmittel: der künstliche
Schließmuskel
In
der Behandlung der komplizierten Harninkontinenz hat sich die
Implantation eines künstlichen Schließmuskels als ein zuverlässiges
Verfahren erwiesen, um dauerhaft eine Kontinenz wieder herzustellen.
Durch diese Methode werden Patienten unabhängig von anderen
alternativen Behandlungsmöglichkeiten wie Penisklemmen, Urinale,
Katheter, Vorlagen und Windeln.
Indikationen
Als
Therapie der Wahl kann inzwischen ein künstlicher Schließmuskel gelten
bei Harninkontinenz nach radikaler Prostataentfernung, bei neurogener
Harninkontinenz und angeborenem Schließmuskeldefekt.
Operationsverfahren
1.
Implantation einer Manschette am Blasenhals
Einlegen eines
druckregulierenden Ballons im Bereich des Unterbauches. Platzierung der
Pumpe in den Hodensack oder bei der Frau in eine der große Schamlippen.
Alle drei Systeme sind miteinander durch Schläuche verbunden. Das
vollständige System ist mit Wasser (Kochsalzlösung) aufgefüllt. Der
Ballon ist das Reservoir, die Pumpe öffnet die Manschette und drückt
das Wasser in den Ballon. Urin fließt ab. Nach einer Weile füllt sich
Manschette mit dem Wasser im Ballon wieder automatisch auf, durch den
Druck der Manschette wird die Harnröhre mechanisch verschlossen.
In nur 19% Fällen mußte
der künstliche Schließmuskel wieder entfernt werden, weil es zu
Druckgeschwüren an der Harnröhre kam. Beobachtet wurde, daß 95% der
Patienten mit einem künstlichen Schließmuskel eine deutliche Besserung
ihres Zustandes (Inkontinenz) erfahren haben.
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