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Blasenfunktionsstörungen und Inkontinenz   
Möglichkeiten und Grenzen neuer operativer Technologien

Blasenschwäche und Blasenfunktionsstörungen betreffen in der Bundesrepublik offiziell mehr als 5 Millionen Menschen. Vermutet wird, daß es mehr als doppelt so viele sind. Ihre Beschwerden unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht: entweder es besteht bei ihnen ein Harnverhalt – nicht Wasser lassen können – oder ein ständiger Harndrang, der durch die ständige Suche nach einer Toilette geprägt ist. Besonders belastend ist aber der unfreiwillige Urinverlust (Inkontinenz), der von den Betroffenen nicht kontrolliert werden kann. Sie können, im Gegensatz zu sogenannten „kontinenten Menschen“, ihren Harndrang nicht willentlich unterdrücken.

Für die Betroffenen ist das nicht nur ein medizinisches Problem, sondern auch eine große psychische Belastung. Sie leiden darunter, daß sie ihre anerzogene Fähigkeit, sich zu kontrollieren, verloren haben und verschweigen aus Scham ihr Problem. Mit der Folge: Sie wagen sich nicht mehr aus dem Haus und geraten in die soziale Isolation. Laut WHO-Richtlinien ist aber z.B. Inkontinenz eine Krankheit und damit wird klar, daß der Betroffenen keine Schuld an dieser Situation trägt.

Was bedeutet Inkontinenz?

Der Begriff Inkontinenz leitet sich ab von lat. „continere“, d.h. zusammenhalten, und bedeutet das „Unvermögen zum willkürlichen Zurückhalten von Harn- oder Stuhlgang und dem unfreiwilligen Abgang von Harn und Stuhl“. Dabei werden folgende Formen unterschieden.

1) die aktive, intermittierende Urininkontinenz

Das bedeutet, daß aufgrund einer Überaktivität des Schließmukels der Urin sich schon ab einem geringen Füllungsgrad der Blase spontan entleert.

2) die passive, permanente Urininkontinenz

Hier findet ein beständiges Harnträufeln statt. Die Ursache wird in einer Schwächung (Insufizienz) des Schließmuskelsystems vermutet.


Wie funktioniert die Blase normalerweise?

Voraussetzung für eine normale Blasenfunktion ist das störungsfreie Zusammenspiel zweier Nervensysteme mit ihren sensiblen und motorischen Nervenbahnen.

Harnspeicherung und Harnentleerung werden durch zwei Zentren im Gehirn kontrolliert und koordiniert. Die hemmenden Areale liegen im Bereich des Frontalhirns, des limbischen Systems, Thalamus und der Stammganglien. Die aktivierenden Areale im Hypothalamus. Blase und Harnröhre werden in der Füll-, Speicher- und Entleerungsphase durch das autonome (willkürliche) Nervensystem und über lokale Nervengeflechte im Bereich des Schließmuskel kooridniert. Darüberhinaus gibt es noch viele Nervenverbindungen, die ebenfalls Einfluß auf die Harnspeicherung und –entleerung nehmen. Wasser lassen oder zu halten erscheint jedem als ein einfacher Vorgang. Doch in Wirklichkeit ist es ein hochkomplexes Zusammenspiel zwischen Gehirn, Blase oder Darm und Schließmuskeln. Nervenschädigungen, psychische angeborene oder erworbene Schäden in diesem System können zu Funktionsstörungen wie Harninkontinenz oder chronischen Blasenentleerungsstörungen führen.

Die häufigste Form der Inkontinenz: Belastungs- oder Streßinkontinenz

Durch Husten, Lachen, Niesen oder Pressen übersteigt passiv der Druck in der Blase und den Schließmuskeldruck, so daß es zu einem unwillkürlichen Urinabgang kommt, ohne daß ein Harndrang vorher bestand.  

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Ursache

Bei dieser passiven Inkontinenzform liegt eine traumatische (verletzungsbedingte) oder degenerative Veränderung des Schließmuskelsystems vor. Bei Frauen ist sie mit 55% die am häufigsten auftretenden Inkontinenzformen, bei Männern hat sie einen Anteil von unter 50 %.

Therapie

Die Therapie ist meistens operativ, mit dem Ziel, den geschwächten Schließmuskel-mechanismus zu unterstützen. Aber auch durch gezieltes Beckenbodentraining kann in leichteren Fällen eine Besserung erzielt werden. Bei Männern wird oft die Implantation eines künstlichen Schließmuskels vorgenommen.

Urge-/Dranginkontinenz

Hier handelt es sich um eine aktive Inkontinenzform, deren Ursache eine Überaktivität des Blasenmuskels ist, mit der Folge, daß durch nicht unterdrückbare Schließmuskelkontraktionen ein Harndrang empfunden wird und unwillkürlich Urin abgeht.

Schon der Füllungsreiz der Blase, aber auch durch äußere psychische Reize, motorische oder Berührungsreize werden Blasenkontraktionen (d.h. die Blase zieht sich reflektorisch zusammen) ausgelöst werden, die dann sofort zum Harndrang führen. Bei Frauen ist sie mit 31 % die zweithäufigste Form, ebenso bei Männern mit 39 %.

Ursachen

Häufig führen chronische Entzündungen, Prostatavergrößerung, Harnröhrenverengungen, Tumore oder Strahlenschäden zur Dranginkontinenz. Bei psychovegetativen Fehlsteuerungen (sog. Reizblase) tritt dieses Phänomen auch bei geringerer Belastung auf und beim Mann zu den Symptomen des Prostatismus mit häufigem Harndrang aber wenig Urinabgang

Therapie

Die Behandlung ist hier meist medikamentös mit dem Ziel, den überaktiven Blasenmuskel ruhig zu stellen und die sensible Reizschwelle für den Harndrang herabzusetzen. Toilettentraining und ein Miktionsprotokoll (die Häufigkeit des Harndrangs wird über einen längeren Zeitraum protokolliert) helfen, dem unerträglichen Blasenreiz mit der Zeit aktiv zu begegnen.

Obstruktive Überlaufinkontinenz

Bei dieser Form kommt es zu einem häufigen Harndrang und einem unwillkürlichen Urinabgang aus der Harnröhre durch eine passive Überdehnung der Blasenwand.

Die Blasenentleerung ist so stark behindert, daß trotz normaler Blasen- und Schließmuskelfunktion der Blasenmuskel nicht in der Lage ist, den Urin völlig zu entleeren (Ursache: u.a. Prostatavergrößerung, Harnsteine, Harnleiteranomalien, Vernarbungen, Tumore etc.). Die Blase fülllt sich immer mehr, der Blasenmuskel wird überdehnt und preßt unkontrolliert kleine Urinportionen ab, ohne die Blase wirklich zu entleeren.

Therapie

Hier hilft oftmals eine Operation, um das Hindernis zu beseitigen. Unter Umständen kann nur noch mit Hilfe eines Katheters die Blase vollständig entleert werden.

Neue Techniken:

Die sakrale (d.h. im unteren Lendenwirbelbereich) Elektronervenstimulation (Schrittmacher) bei Blasenfunktionsstörungen

Die Dranginkontinenz, die chronische funktionelle Blasenentleerungsstörung, Harndrangsyndrom sowie chronische Beckenschmerzen können heute erfolgreich mit der Implantation eines solchen Schrittmachers behandelt werden, so daß Patienten ihre Blase mit Hilfe eines externen Steuerungsgerätes kontrolliert entleeren können. Dabei werden schwache elektrische Impulse über den „Schrittmacher“ an die für Steuerungzentrale des für den Entleerungsvorgang zuständigen Sakralnerven abgegeben. Durch diese kontinuierliche Elektrostimulation kann eine teilweise oder vollständige Linderung der Symptome erzielt werden.

Voraussetzungen

Die Implantation kann dann durchgeführt werden, wenn eine chronische Inkontinenz oder Entleerungsstörung vorliegt und andere Behandlungsformen, wie Medikamente Biofeedback, Beckenbodentraining etc. unzureichend geblieben sind. Die Nieren- und Harnleiterfunktion darf nicht gestört sein und eine ausreichende Blasenkapazität (Füllungsvermögen der Blase) muß vorhanden sein. Zudem muß eine dreitätige Teststimulation der Sakralnerven vor der Implantation des Schrittmachers durchgeführt werden, bei der zufriedenstellende Ergebnisse erzielt werden konnten.

Operationsverfahren

Unter Vollnarkose wird dem Patienten eine Elektrode in unmittelbarer Nähe des ent-sprechenden Sakralnervs (über den der Entleerungsvorgang gesteuert wird) dauerhaft implantiert. Die Elektrode wird unter der Haut zu einem Stimulationsgerät geführt. Das Stimulationsgerät wird ähnlich wie bei einem Herzschrittmacher durch einen Einschnitt dicht unter der Hautoberfläche eingesetzt. Nach den bisherigen Erfahrungen stellt die elektrische Neurostimulation eine wertvolle Behandlungsmethode bei Patienten dar, die auf eine konversative Therapie nicht angesprochen haben.

Mechanische Hilfsmittel: der künstliche Schließmuskel

In der Behandlung der komplizierten Harninkontinenz hat sich die Implantation eines künstlichen Schließmuskels als ein zuverlässiges Verfahren erwiesen, um dauerhaft eine Kontinenz wieder herzustellen. Durch diese Methode werden Patienten unabhängig von anderen alternativen Behandlungsmöglichkeiten wie Penisklemmen, Urinale, Katheter, Vorlagen und Windeln.

Indikationen

Als Therapie der Wahl kann inzwischen ein künstlicher Schließmuskel gelten bei Harninkontinenz nach radikaler Prostataentfernung, bei neurogener Harninkontinenz und angeborenem Schließmuskeldefekt.

Operationsverfahren

1. Implantation einer Manschette am Blasenhals

Einlegen eines druckregulierenden Ballons im Bereich des Unterbauches. Platzierung der Pumpe in den Hodensack oder bei der Frau in eine der große Schamlippen. Alle drei Systeme sind miteinander durch Schläuche verbunden. Das vollständige System ist mit Wasser (Kochsalzlösung) aufgefüllt. Der Ballon ist das Reservoir, die Pumpe öffnet die Manschette und drückt das Wasser in den Ballon. Urin fließt ab. Nach einer Weile füllt sich Manschette mit dem Wasser im Ballon wieder automatisch auf, durch den Druck der Manschette wird die Harnröhre mechanisch verschlossen.

In nur 19% Fällen mußte der künstliche Schließmuskel wieder entfernt werden, weil es zu Druckgeschwüren an der Harnröhre kam. Beobachtet wurde, daß 95% der Patienten mit einem künstlichen Schließmuskel eine deutliche Besserung ihres Zustandes (Inkontinenz) erfahren haben.

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